Es ist fast ein epischer Heldenkampf. Auf der einen Seite Paolo Fanciulli in Talamone, besser bekannt als Paolo, der Fischer, und auf der anderen Seite die Schleppnetzfischer vom Hafen Porto di Santo Stefano nahe Orbetello in der italienischen Toskana, mit stillschweigender Zustimmung von mehreren lokalen Behörden. Wer instinktiv an einen Kampf zwischen David und Goliath denkt, dem sei verziehen. In mehr als einer Beziehung ist er das auch. Paolo ist entschlossen, küstennahe Ökosysteme zu retten, findet innovative Mittel und Wege und lässt sich auch durch Einschüchterung nicht fügsam machen. Die Schleppnetzfischer scheinen alle Vorteile auf ihrer Seite zu haben, wenn sie oft illegal nachts in unmittelbarer Küstennähe operieren, die für die handwerkliche Fischerei reserviert ist.
Das unermüdliche Engagement von Paolo und – wie in diesem Fall – auch die wachsende öffentliche Unterstützung für die inspirierende Sache des Naturschutzes zum Wohle der Mehrheit hat Fortschritte gebracht. Er hat mittlerweile eine gute Chance, den Sieg davonzutragen. Paolo sagt: die See gibt uns Nahrung und Erholung, wir können nicht nur gedankenlos entnehmen und zerstören. Wir müssen der Natur auch etwas zurückgeben, so dass sie uns weiterhin versorgen kann.
Wir begegneten Paolo zunächst über TV-Dokumentationen und Zeitungsartikel. Sein Kampf stand im Einklang mit der Unterstützung anderer handwerklicher Fischer seitens Mundus maris und mit der Umsetzung der Leitlinien für nachhaltige und prosperierende Kleinfischerei, die 2014 vom FAO-Fischereikomitee angenommen worden waren (SSF Guidelines).
Während unserer diesjährigen Jahreshauptversammlung sicherten wir seiner Initiative „Casa dei Pesci“ (Haus der Fische) finanzielle Unterstützung zu und statteten ihm Anfang August einen Besuch ab, um weitere Zusammenarbeit auszuloten.
Aber lasst uns von vorne beginnen, in der Mitte der 80iger Jahre. Paolo war damals ein junger Mann. Als Junge hatte er es geliebt, Schiffswracks zu untersuchen mitsamt der Tier- und Pflanzenwelt, die dort drinnen und außerhalb Zuflucht fand. Später trat er in die Fußstapfen seines Vaters und wurde handwerklicher Fischer. Aber während der Küstenstreifen an Land dank des Uccelina Parks (Parco Maremma) einigen Schutz genoss, war das Meer an der Küste in einem eher bedauerungswürdigen Zustand. Dort gab es so gut wie keinen Fisch, von dem er den Unterhalt für sich und seine Familie bestreiten konnte.
Er realisierte, dass die zerstörerische Grundschleppnetz-Fischerei gestoppt werden musste, die fast jede Nacht heimlich innerhalb der 3-Meilen-Zone operierte, welche für die handwerkliche Küstenfischerei reserviert war. Die handwerklichen Fischer wie er selbst setzten nur passive und selektive Fangmethoden ein. Beim Grundschleppnetzfischen zieht statt dessen ein Schiff ein schweres, oft mit Ketten versehenes Netz mit metallverstärkten Scherbrettern über den Meeresboden und ebnet auf diese Weise alles ein, was ihm in den Weg kommt. Im Netz verfangen sich so nicht nur Fische und Krebstiere, sondern auch viele nicht-genießbare wirbellose Meerestiere (Invertebraten) und Pflanzen, wie das wertvolle Neptungras (Posidonia). So macht das Schleppnetzfischen alle kleineren Strukturen dem Boden gleich, die essentieller Lebensraum für viele Arten sind, einschließlich der Jungfische wertvoller Arten – ein ganzes Ökosystem wird zerstört. Paolo vergleicht diese Art des Fischens mit dem Abfackeln des ganzen Waldes, um ein Wildschwein zu fangen. Ganz zu schweigen von den katastrophalen CO2-Emissionen durch diese Fangmethode. Laut einer kürzlich veröffentlichten neuen Einschätzung sind die CO2-Emissionen der globalen Fischereiflotten, insbesondere jener, die aktiv gezogene Fangmethoden einsetzen oder der Hochseeflotten, die in entfernten Fischereiregionen operieren, viel höher als bisher vermutet, und das trotz sinkender Fänge seit Mitte der 90iger Jahre.
Was tun? Paolo versuchte viele Dinge; als erstes stellte er eine Menge Anzeigen bei der Küstenwache und anderen Behörden, nur um festzustellen, dass sie eher ihn und nicht die Trawler als Störenfried ansahen. Zusammen mit anderen Kleinfischern forderte er 1990 auch die Schleppnetzfischer direkt heraus, indem er versuchte, ihren Hafen Porto di Santo Stefano zu blockieren. Allerdings kassierte er als Quittung, dass es seinen Gegnern gelang, Druck auf den lokalen Fischmarkt auszuüben, um seine Produkte abzuweisen. So musste er andere Wege des Widerstandes finden. Damals war es verboten, Touristen auf Fischerbooten mitzunehmen, während der Agrotourismus bereits ein etablierter Weg war, das bäuerliche Einkommen zu ergänzen. Er erreichte es, die relevanten Behörden in Rom zu überzeugen, das zu erlauben, was er „Pescaturismo“ nannte (Fischerei-Tourismus). Das versetzte ihn in die Lage, Touristen an Bord zu nehmen und sie für einen Tag das Leben eines Küstenfischers erleben zu lassen. Sie dürfen so beim Heraufholen der in der Nacht zuvor gesetzten Kiemennetze helfen und bekommen die Geschichten über die lokale Natur und die Kämpfe für ihre Verteidigung zu hören. Abends unterhält er in seiner Veranda und dem Garten ein Restaurant, wo Leute frisch gefangenen Fisch essen und den Unterschied zu Industriefisch und Produkten aus der Aquakultur schmecken können.
Über die Jahre hat er um die 20.000 Leute als Gäste auf seinen Fangfahrten gehabt, viele Freundschaften geschlossen und Unterstützer für seinen Kampf gewonnen. Erinnerungen an seine Kindheitsliebe für Schiffswracks führten zu einer Eingebung, schwere Objekte auf den Meeresboden abzusenken, um das Trawlen zu verhindern. Im Jahr 2006 wurden die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, und dank eines europäischen Projektes konnten 100 Betonblöcke, verbunden mit Stahlseilen, in der See entlang der Küste versenkt werden. Die Betonblöcke waren hilfreich, aber nicht ausreichend zahlreich und nahe genug zueinander, um vollständig wirksam zu sein.
Hier tritt Ippolito Turco auf den Plan, der an einer von Paolos Fangfahrten teilgenommen hatte.
Zusammen mit anderen Freunden beschlossen sie, eine Vereinigung zu gründen und ein Unterwassermuseum mit aus Marmörblöcken gehauenen Skulpturen zu schaffen. Der Marmor, der vor 200 Millionen Jahren aus Meereskalkstrukturen entstand und jetzt in Form von Skulpturen ins Meer zurückkehrt, ist inspirierender und erhebender als Beton. Hundert solcher Blöcke waren von Franco Barattini, dem Besitzer des Michelangelo-Steinbruches, etwa 200 km weit entfernt in Carrara, versprochen worden. Er war ein anderer Bekannter dank Paolos Pescaturismo. Die „Casa dei Pesci“ war geboren.
Das Projekt, jeden dieser Marmorblöcke von je 10 bis 15 Tonnen in Skulpturen zu verwandeln und so Kunstwerke zu schaffen, die schützen und eins werden mit der Natur, indem sie für Pflanzen und Tiere zu neuen Lebensräumen werden, zog berühmte Künstler in den Bann.
Unter den ersten, die als Freiwillige einen Beitrag zum Projekt leisteten, waren solche Koryphäen wie Emily Young aus Großbritannien, die jedes Jahr mehrere Monate nahe Carrara arbeitet. Sie hat mehrere Meereswächter geschaffen. Zwei, der weinende und der junge Wächter, waren Teil der ersten Skulpturen, die ins Meer abgesenkt wurden, ein anderer Wächter blieb an Land.
Andere involvierte Künster sind Massimo Lippi (siehe oben), Massimo Catalani, Marco Borgianni, Francesca Bonanni, John Cass, ein Student von Emily Young, und andere. Bis jetzt wurden 39 Skulpturen abgesenkt, 19 in unmittelbarer Nähe von Talamone, als leicht zugängliches und inspirierendes Unterwassermuseum (siehe Karte rechts).
Paolo, der Fischer und die Casa dei Pesci, sind inzwischen Berühmtheiten geworden und möchten zusätzliche Gelder aufbringen, um weitere Skulpturen anfertigen und im Meer versenken zu lassen, um die Mission abzuschließen.
Ein gut recherchiertes Buch von zwei bekannten italienischen Journalisten, Ilaria de Bernadis und Marco Santarelli, berichtet von den vier Jahrzehnten Kampf und erzählt lebhaft und mit eindrucksvollen Bildern die Story. Es wurde im May 2021 herausgegeben und ist bereits in der zweiten Auflage. Vermutlich wird es auch dem Fundrising einen Schub geben. Eine Rezension für diese Webseite ist geplant.
Das Team der Casa dei Pesci sucht gegenwärtig Verlagshäuser, die an englischen und deutschen Ausgaben interessiert sind, zugeschnitten u.a. auf die besonderen Interessen deutscher Touristen an Paolos Fischfangausflügen und dem Umweltschutz. Vorschläge für alles, was dem Schutz des Küsten- und Meeresökosystems dient, können gerne an info@mundusmaris.org gesendet werden, oder die Casa dei Pesci kann über ihre Webseite direkt kontaktiert werden.
Als wir Paolo in Talamore besuchten, kam er um die Mittagszeit gerade von seinem täglichen Fischfangausflug mit Touristen zurück. Seine Herzlichkeit und Bereitwilligkeit, sich in einer Unterhaltung zu engagieren, steckte an. Bald plauderten wir miteinander, als ob wir uns schon lange kennen würden und kamen überein, das Beste wäre, sich bald wieder zu treffen. Die stechende Sonne erinnerte ihn daran, dass der Fisch unter dem Eis in den Kühlschrank musste, saubergemacht und vorbereitet für das Abendessen in seinem Gartenrestaurant. Dort erzählt er jeden Abend, dass das Meer „bei Tisch“ gerettet werde – wenn Menschen lernen, was hohe Qualität frisch aus der Natur bedeutet. Später wird er auch warnen, dass die Leute weniger Seife und Waschpulver benutzen sollten, da er die zunehmende Seifenverschmutzung an einigen Küstenstreifen als neue Bedrohung beobachtet hat.
Während er sich um viele weitere Verpflichtungen kümmern musste, erklärte er, dass er am Nachmittag ein paar Stunden Schlaf brauche, um später am Abend, nach dem Restaurantbetrieb, wieder mit einem kleineren Boot hinauszufahren und die Netze für den nächsten Tag auszusetzen. Dann, früh am Morgen, würde er wieder mit der nächsten Gruppe seiner Touristengäste rausfahren, die Netze heben und von neuem beginnen. Paolo ist jetzt 60 Jahre alt und beginnt, die Anstrengung zu merken. Es ist ein leidenschaftliches Leben, aber sicherlich nicht ein einfaches.
Zwischen den Gängen beim Abendessen konnten wir uns austauschen, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit etwas mehr umreißen und die etwa 50 Gäste mit Geschichten über die Herausforderungen und Möglichkeiten des handwerklichen Fischens in Italien, Senegal oder anderswo unterhalten.
Paolo arbeitet mit Forschungsteams aus Livorno und Siena zusammen mit dem Ziel, Meeresschildkröten und Delfine von den Netzen fernzuhalten, so dass sie nicht aus Versehen gefangen und ertränkt werden. Das Gute ist, dass dank des bereits vorhandenen Schutzes und reduziertem Trawling einige Fauna munter zurückkehrt. Der Fischbestand ist reichlicher geworden. Das zieht die Delphine an. Sie sind spielerisch und geliebt von den Touristen, aber als Meeressäugetiere fressen sie eine Menge Fisch. Paolo freut sich, dass sie zurück sind und sagt, da sollte genug für die Delphine und die Fischer sein, vorausgesetzt, dass die Fischer weiterhin eine genügend große Maschenweite benutzen, um nur erwachsene Fische zu fangen, und die Unterwasserstrukturen sich weiter entwickeln und so die Zahl und Biomasse der Meeresorganismen vervielfältigen.
Die Netze sind mit Pingern ausgestattet, die Töne machen, welche die Delphine nicht mögen. Sie bleiben deshalb weg und setzen weiterhin ihr Geschnatter durch die typischen Klickgeräusche unter den Mitgliedern der Gruppe fort. Um die Schildkröten fernzuhalten, nutzen die Pinger nicht, wohl aber Lichtsignale. Es ist mehr Arbeit, aber eine notwendige Maßnahme um gefährdete Tierarten zu schützen.
Stellen wir uns vor, was mit mehr solcher Initiativen erreicht werden könnte, wenn sie den Mittelmeerraum von einer verarmten See, wo 85% der Fischbestände in schlechtem Zustand sind, umwandeln würden in ein gesundes Meer voller Leben und guter, erschwinglicher Fisch ausreichend für die Anrainer und die Millionen von Touristen produziert würde, die jedes Jahr kommen. Mach mit und Du wirst mit dem Revival des Meereslebens in der Toskana belohnt werden und dem Gefühl einer vollendeten Mission – eine große Genugtuung!
Text von Cornelia E Nauen, Übersetzung von Christine Großmann, Photos von Paolo Bottoni.
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