Die jährliche Versammlung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) findet regelmäßig in Wien statt, da die großzügigen Konferenzeinrichtungen im Austria Center Vienna die vielen Teilnehmer - in der Regel über 10.000 - aufnehmen können. Die Veranstaltung 2024 fand vom 14. bis 19. April statt. Wie in den vergangenen Jahren beteiligte sich Mundus maris mit einer Präsentation an dem von der Internationalen Vereinigung zur Förderung der Geoethik (IAPG) geförderten Forschungsprogramm. Die diesjährige Hauptsitzung wurde von Silvia Peppoloni mit den Mitveranstaltern Svitlana Krakovska, Giuseppe Di Capua und David Crookall unter dem Titel „Geoethik“ einberufen: Die Bedeutung der Geowissenschaften für die Gesellschaft und die Umwelt“.

Die Arbeit der IAPG gewinnt mit einer beträchtlichen Anzahl nationaler Mitgliedsorganisationen und einer guten Mischung von Referenten, von denen einige bereits seit einiger Zeit „an Bord“ sind und viele noch „neu“ hinzukommen, an Fahrt. Um „dem Ozean eine Stimme zu geben“ präsentierte Cornelia E. Nauen von Mundus maris einen Vortrag mit dem Titel „Können die Geowissenschaften dazu beitragen, den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit in die Narrative der blauen Wirtschaft einzufügen?“ Wir geben die Zusammenfassung wie folgt wieder:

Seit einiger Zeit wird dem Ozean mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und die Begriffe „Blaue Wirtschaft“ und „Blaues Wachstum“ sind zu einem neuen Investitionsschwerpunkt geworden [1]. Viele Länder und Institutionen erstellen Strategiepapiere, die ein Ende der Armut, einen Schub für neue Technologien und Gewinne zur Finanzierung der Entwicklung versprechen. Eine kürzlich durchgeführte systematische Überprüfung der Literatur [2] ergab jedoch, dass inmitten all der hochfliegenden Hoffnungen und des Hypes um diese oft verschwommenen Konzepte keine Spur von artikulierten Vorstellungen von Ethik und Gerechtigkeit zu finden ist. Die zunehmende Finanzialisierung der technologischen Entwicklungen, die durch die Digitalisierung und das Internet beschleunigt wird, führt zu immer mehr Ungerechtigkeiten für die Menschen und Schäden für die Natur. Aber, wie Rushkoff argumentiert [3], haben die Möglichkeiten der Rückkopplung und des Zirkelschlusses das Potenzial, jedem zu zeigen, dass es kein Entrinnen aus der natürlichen Welt gibt, und uns so von der Täuschung des permanenten exponentiellen Wachstums zu verabschieden.

Hier wird argumentiert, dass kritisch engagierte Meeres- und Geowissenschaften mit der ihnen zugrundeliegenden Botschaft eines sich über lange Zeiträume hinweg verändernden Planeten dazu beitragen können, das geschichtsvergessene Versprechen zu entlarven, selbst geschaffene Probleme zu lösen, indem man mit einem vermeintlichen „Neustart“ beginnt. Häufig ist zu beobachten, dass man die von einer Technologie verursachten Schäden mit noch mehr Technologie beheben will, z. B. beim Tiefseebergbau [4] oder bei der weiteren technologischen Entwicklung in der Fischerei und Aquakultur [5]. Auf Länderebene wird bei diesen vorsätzlich schädigenden industriellen Ansätzen der Zusammenarbeit mit den betroffenen kleinen, wild lebenden Nahrungsmittelproduzenten, die ein Viertel der weltweiten Produktion ausmachen, oft wenig Beachtung geschenkt.

Stattdessen birgt die Nutzung einer Kombination aus traditionellem und indigenem Wissen und die Bereitstellung eines verständlichen Zugangs zu den Wissenschaften ein erhebliches Potenzial für weniger schädigende Vorgehensweisen. Dies stünden auch im Einklang mit der Förderung der Ko-Kreation von Wissen während der UN-Ozeandekade, um die Vorstellung von „der Wissenschaft, die wir für den Ozean brauchen, den wir wollen“ zu verwirklichen. Die Praxis der Ko-Kreation wird ein gewisses Überdenken des Selbstverständnisses vieler Wissenschaften und Anpassungen an typische Projektformulierungen und -abläufe erfordern. Im Gegenzug wird erwartet, dass dies zu wertvollen neuen Erkenntnissen sowie zu Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der blauen Gerechtigkeit als Schritte in Richtung eines auf ethischen Grundsätzen basierenden Wandels führt.

[1] World Bank. (2016). Oceans 2030: Financing the blue economy for sustainable development. Blue Economy Development Framework, Growing the Blue Economy to Combat Poverty and Accelerate Prosperity. World Bank Group, Washington DC.

[2] Das, J. (2023). Blue Economy, Blue Growth, Social Equity and Small-scale Fisheries: A Global and National Level Review. Studies in Social Science Research, 4(1):45 p. DOI: https://doi.org/10.22158/sssr.v4n1p38

[3] Rushkoff, D. (2022). Survival of the richest. Escape fantasies of the tech billionaires. Scribepublications, UK, ISBN 978-1-915590-24-4, 212 p.

[4] Zenghui Liu, Kai Liu, Xuguang Chen, Zhengkuo Ma, Rui Lv, Changyun Wei, Ke Ma. (2023). Deep-sea rock mechanics and mining technology: State of the art and perspectives. International Journal of Mining Science and Technology, 33(9):1083-1115. https://doi.org/10.1016/j.ijmst.2023.07.007.

[5] FAO. (2022). The State of World Fisheries and Aquaculture 2022: Towards Blue Transformation. Rome, FAO. doi:10.4060/cc0461en

Die Folien der PowerPoint Präsentation sind hier verfügbarverfügbar.

Deutsche Übersetzung von Claudia Mense.